Der nachfolgende Fachbeitrag wurde uns freundlicherweise von der Fachzeitschrift Die Wirtschaftsmediation zur Verfügung gestellt. Er erschien erstmals am 26.09.2012 in der Ausgabe 2/2012 Die Wirtschaftsmediation und wurde online veröffentlicht im Blog der Akademie für Soziales und Recht der Steinbeis Hochschule Berlin. Der Abdruck erfolgt mit Genehmigung des Autors PD Dr. habil. Gernot Barth.

Was ist Mediation?

Immer wieder wird in den letzten Jahrzehnten - Tendenz steigend - von Win-Win-Situationen gesprochen. Dabei sind Konfliktlösungen gemeint, bei denen sich beide Seiten als Gewinner fühlen. Etwas weniger euphemistisch ausgedrückt geht es darum, dass die Streitparteien das Gefühl haben, etwas gewonnen zu haben. Was sind das für Ausgänge von Konflikten, bei denen die Parteien meinen, nicht verloren zu haben? Zunächst einmal sei definiert, welches Konfliktverständnis dem zugrund liegt.

Inkohärenzerfahrung

Ein Konflikt beruht auf einer Inkohärenzerfahrung. Es gibt unterschiedliche Wahrnehmungen desselben Sachverhaltes und diese lassen sich nicht in ein gemeinsames Wirklichkeitsbild integrieren. Ansprüche und Forderungen im Handeln, Denken, Wollen oder Fühlen werden durch eine andere Person zurückgewiesen. So fühlt sich zumindest ein Interaktionspartner im Denken, Fühlen, Wollen oder Handeln durch die jeweils andere Seite beeinträchtigt. Eine Konfliktlösung hat dann zum Ziel, dieses „Beeinträchtigt-fühlen“ aufzuheben. In den vergangenen 30 Jahren hat sich dazu in Deutschland und international das Verfahren der Mediation neben den bestehenden wie Gerichts-, Schieds- oder Schlichtungsverfahren etabliert. Wir können von einer Etablierung sprechen, wenn es auch noch nicht jedem potentiellen Wirtschaftskonfliktpartner bekannt ist. Denn es hat sich einiges in der Streitlandschaft verändert.

Seit einigen Monaten existiert ein Gesetz zur Förderung der Mediation, welches der mediativen Konfliktlösung einen gesetzlichen Rahmen bietet. Man findet in diesen Tagen auch des Öfteren die Formulierung vom „neuen Mediationsgesetz“ – obwohl es in Deutschland bisher keines gab. Es gibt schon tausende praktizierende Mediatoren, Richtermediatoren an Gerichten, eine Mediationsrichtlinie der Europäischen Union (zur grenzüberschreitenden Mediation in Handelssachen) und viele – insbesondere von der Europäischen Union – geförderte Projekte zur Etablierung außergerichtlicher Streitbeilegungen. Wir haben es hier meines Erachtens mit der Etablierung einer Konfliktlösungskultur zu tun, die der Tatsache Rechnung trägt, dass wir es in der modernen Gesellschaft zunehmend mit quasiautonomen Subjekten / Systemen zu tun haben, wie z. B. Personen, Gruppen, Unternehmen und Organisationen, die ihren Umgang miteinander fortwährend neu aushandeln müssen. Aufgrund dieser wachsenden Vielzahl von Aushandlungsprozessen kommt es tendenziell zu einer wachsenden Anzahl von Konflikten. Man kann diese – sollten sie eskalieren – durch die Entscheidung Anderer lösen lassen, man kann sie aber auch in ein Verfahren einbringen, in dem die konfligierenden Parteien selbst aktiv und verantwortlich an der Lösungsfindung arbeiten: die Mediation als Vermittlungsverfahren.

Die Mediation, wie wir sie heute kennen, basiert zum einen auf Resultaten der Konfliktforschung in der Moderne und zum anderen auf dem Verhandlungskonzept, wie es an der Harvard- Universität in der Folge der Begleitung der Verhandlungen zwischen Israel und Ägypten im Sinai-Konflikt entwickelt wurde. Das Harvard-Konzept fokussiert die Konfliktparteien auf deren Bedürfnisse und Interessen, auf deren Anliegen im Konfliktlösungsprozess. Dafür stehen vier Grundprinzipien, die ich hier gleichzeitig auf die Mediation auslege:

  1. Trennung von Person und Sache: Die Kunst der Verfahrensführung besteht darin, eine Beziehungsstörung zwischen den strittigen Parteien nicht über die inhaltliche Auseinandersetzung dominieren zu lassen. Optional ist diese in schwierigen Fällen separat zu bearbeiten.
  2. Im Fokus stehen nicht die Forderungen an die andere Seite, sondern die Herausarbeitung der eigenen Interessen in der Auseinandersetzung.
  3. Es wird angestrebt, Lösungsoptionen zu entwickeln, die dem eigenen Anliegen gerecht werden und beiderseitigen Gewinn versprechen bzw. den Verlust minimieren.
  4. Es werden Kriterien entwickelt, die eine Bewertung des Verhandlungsergebnisses ermöglichen – inwieweit es den jeweils eigenen Ansprüchen gerecht wird.

Mediationsfelder

Seit dem Ende der 1980er Jahre haben sich die Felder der Mediation ausdifferenziert und sind mit einer Spezifik der Konfliktlösung verbunden. Am Anfang stand die Familienmediation, die sich bis heute auch am stärksten etabliert hat. Im Vergleich zu anderen Feldern ist hier die Tiefe der Konflikte und ihre Emotionalität wohl am stärksten ausgeprägt. Einige Felder sind dabei: Generationsauseinandersetzungen, Trennungs- und Scheidungsmediation, Umgangskonflikte mit Kindern oder Paarkonflikte. Mit der Regelung von Auseinandersetzungen in Familienunternehmen gibt es auch eine Schnittstelle zur Wirtschaftsmediation. Regulative beider Systeme greifen hier ineinander. In der Wirtschaftsmediation unterscheidet man

  • zum einen Konflikte innerhalb des Unternehmens bzw. der Organisation: zwischen Mitarbeitern, zwischen Mitarbeitern und Führungskräften, zwischen Führungskräften, im Aufsichtsrat, in Teams, zwischen Geschäftsführung und Betriebsrat,
  • zum anderen Konflikte zwischen Unternehmen bzw. Organisationen wie z. B zwischen Zulieferern und Abnehmern, zwischen Unternehmen und Kunden (Versicherungen, Bau, Mietverhältnisse), bei Betriebsübergaben, bei Haftungsund Gewährleistungsansprüchen, bei Reklamationen von Kunden oder bei Konflikten mit Subunternehmen.

Ein weiteres Feld ist die Mediation im öffentlichen Bereich und der Verwaltung. Beispiele sind Nachtflugverbote an Flughäfen, der Bau von Umgehungsstraßen oder Stromtrassen. Spezifisch ist hier die Einbeziehung einer Vielzahl von Parteien, die Bürgerbeteiligung sowie die Besonderheit der hier zu berücksichtigenden Verwaltungsverfahren.

Mediationsverfahren

Die Einleitung eines Mediationsverfahrens erscheint dann sinnvoll, wenn die Parteien ihren Konflikt eigenverantwortlich regeln wollen, rechtliche Hinderungsgründe dem nicht im Wege stehen und andere Verfahren keine bessere Lösung versprechen (Nebenbemerkung: Der Gewinn eines Gerichtsverfahrens ist mitunter nicht die beste Lösung, wenn man an weiteren guten Geschäftsbeziehungen interessiert ist. Hat eine Seite das Gefühl, das Recht „ganz auf ihrer Seite zu haben“, wird in der Regel dem Gang zur rechtlichen Auseinandersetzung der Vorzug gegeben).

Der Mediationsprozess als gestuftes strukturiertes Verfahren beginnt in der Regel in Wirtschaft, öffentlichem Bereich und Verwaltung bei einer Mehrparteienmediation mit einer „Vorlaufphase“. In dieser Phase werden nach Informationsgespräch und Auftragsklärung mit dem Auftraggeber Vorgespräche mit den beteiligten Parteien geführt. Diese münden in die „Eingangsphase“, in der die Grundlagen für das weitere Verfahren gelegt werden, einschließlich des Abschlusses eines Mediationsvertrages. Prinzipien und Verfahren werden hier allen Parteien erläuter. Anschließend werden die zu verhandelnden Themen zwischen den Parteien abgestimmt und entsprechend ihrer Relevanz priorisiert (Agenda). In der folgenden „Interessenphase“ geht es darum, die Parteien zum einen bei der Herausarbeitung ihrer Anliegen zu unterstützen (Selbstbehauptung, Identität) und sie vom eskalierenden Streit miteinander „abzuhalten“. Des Weiteren wird ihnen die Möglichkeit gegeben, die Perspektive des anderen wahrnehmen zu können (sie müssen sie nicht akzeptieren!). Diese Interessen und Anliegen bilden die Kriterien, an denen nach einem Prozess der Sammlung von Lösungsoptionen das zu verhandelnde Ergebnis auf Stimmigkeit geprüft wird. Abschließend steht eine Mediationsvereinbarung, die gegebenenfalls auch vollstreckbar sein kann. Sollte der Streitgegenstand dies erfordern, sind die Parteien aufgefordert, das Ergebnis von einem jeweils parteiisch beratenden Rechtsanwalt prüfen zu lassen. In der Regel sollte es zu einem späteren Zeitpunkt eine Evaluationssitzung geben, um die erfolgte Umsetzung der Ergebnisse zu besprechen. Die Lösung eines Konfliktes ist in der Regel genauso schwierig wie die Umsetzung der erzielten Vereinbarung.

Mediator

Der von den Parteien ausgewählte Mediator ist in der Verfahrensführung zu Allparteilichkeit und Neutralität verpflichtet. Das heißt, er hat Sorge zu tragen, dass die Parteien ihre Interessen geltend machen können, wobei er selbst neutral zur Sache zu stehen hat (Verbindungen sind offen zu legen). Per Vertrag ist er, wie auch die Streitparteien, zur Verschwiegenheit und Vertraulichkeit verpflichtet. Dies betrifft alle Informationen zum Sachverhalt, die im Verfahren zur Sprache kommen.

Mit dem Mediationsgesetz erfährt die Mediation einen gewissen Schutz. Während der Terminus „Mediator“ ungeschützt bleibt und im strengen Sinn beliebig verwendbar ist, wird mit dem Begriff „Zertifizierter Mediator“ ein qualitativ per Gesetz geschützter Name eingeführt. Diese Verwendung unterliegt klaren Ausbildungsanforderungen. Sie ist mit der Erwartung verbunden, Qualität in der Mediation zu sichern. Dies wäre wieder ein weiteres Diskussionsfeld. Karl Anton nannte den Mediator einst einen „Katalysator“: „Er ermöglicht die Verbindung von Teilen, die ohne dessen Hilfe nicht zueinander finden würden.

Über den Autor

PD Dr. habil. Gernot Barth PD Dr. habil. Gernot Barth, Mediator und Trainer, beschäftigt sich seit 10 Jahren praktisch-mediativ und wissenschaftlich mit dem Thema Konflikt. Sein Mediationsschwerpunkt liegt im inner- und zwischenbetrieblichen Bereich, sowie bei Planungs- und Beteiligungsprozessen im öffentlichen Bereich. Darüber hinaus ist Gernot Barth als Mediator in Familienkonflikten tätig. Er ist Leiter des Steinbeis Beratungszentrum Wirtschaftsmediation und Direktor der Akademie für Soziales und Recht an der Steinbeis-Hochschule Berlin.