Der nachfolgende Fachbeitrag wurde uns freundlicherweise von der Fachzeitschrift Die Wirtschaftsmediation zur Verfügung gestellt. Er erschien erstmals am 31.01.2013 in der Ausgabe 1/2013 Die Wirtschaftsmediation und wurde online veröffentlicht im Blog der Akademie für Soziales und Recht der Steinbeis Hochschule Berlin. Der Abdruck erfolgt mit Genehmigung des Autors Heiner Krabbe.

Mediation bei hochstrittigen Parteien - geht das?

Die herrschende Meinung in der Mediations-Literatur sagt, dass ab einer bestimmten Eskalationsstufe eine Mediation nicht mehr möglich sei. In einem gewissen Sinne stimmt diese Aussage: eine Konfliktlösung mit den herkömmlichen Werkzeugen der Mediation (Prozessstufen, Methoden, Techniken) ist bei hochstrittigen Parteien nur sehr eingeschränkt möglich. Verfügt der Mediator jedoch über besonderes psychologisches Hintergrundwissen, stellt er seine Haltung auf die Konfliktparteien entsprechend ein und das Setting der Mediation entsprechend um, gibt es durchaus die Chance zu einer erfolgreichen Mediation mit diesen Parteien.

Hintergrundwissen

Der Begriff „hochstrittig“ ist eine beschreibende Kategorie. Er  hat keine diagnostische Aussagekraft, sondern gibt dem Mediator  einen ersten Hinweis, dass sich die Parteien auf einer höheren  Eskalationsstufe befinden. Merkmale für Hochstrittigkeit könnten sein:

  • wiederholte Gerichtspräsenz,
  • wechselseitige unbewiesene Beschuldigungen,
  • Einbezug anderer Personen in den Konflikt und / oder
  • Androhung von verbaler und physischer Gewalt.

Es gibt keine umfassende Theorie darüber, warum Parteien  hochstrittig werden, sich hochstrittig verhalten. Allen Erklärungsansätzen  ist gemeinsam, dass sie bei hochstrittigen Parteien  Mechanismen beobachten, die dafür sorgen, dass der Konflikt bei ihnen erhalten bleibt, ja erhalten bleiben soll. Die offen  ausgetragenen Konflikte dienen dazu, weitere Konflikte der  Parteien, seien sie innere, zwischenmenschliche oder soziale,  zu verdecken. Durch die Konflikt-Inszenierung schützen sich  die Parteien somit vor ungleich schwierigeren Aufgaben und  Konflikten. Diese Konflikterhaltungsmechanismen können auf  verschiedenen Ebenen wirken: auf der intrapsychischen, der interpsychischen und der sozialen Ebene.

Auf der individuellen, intrapsychischen Ebene führen persönliche  Krisen einer oder beider Parteien zu hochstrittigem  Agieren. Diese Parteien befinden sich in einer unerträglichen  psychischen Situation, in der vielfältige unbewusste Abwehrmechanismen  mobilisiert werden müssen, um ansatzweise wieder ein psychisches Gleichgewicht zu erhalten. Persönliche Krisen treten in der Mediation oft in zwei Formen auf, in narzistischer oder in traumatischer Form.

Bei einer narzistischen Krise ist der Selbstwert der Person betroffen.  Dieser wird in doppelter Weise reguliert. Nach außen  (bewusst), wird ein positives, bewundernswertes Selbstbild bis  zur Grandiosität inszeniert. Nach innen (unbewusst) wird ein  negatives, beschämendes Selbstbild mit massiven Selbstzweifeln  verborgen. Hinter einer grandiosen Fassade verbirgt sich  somit Hilflosigkeit, Angst, Scham. Bei einer traumatischen  Krise befindet sich die Partei in einer massiven Überforderung.  Statt die gegenwärtige Situation gestalten zu können, ist diese  Person nur noch in der Lage, diese zu überleben. Die gegenwärtige  Situation ist bei dieser Partei durch alte, verdrängte  Traumata geprägt; die frühere Erfahrung wird als gegenwärtig  erlebt. Es ist daher für diese Person nur begrenzt möglich, die gegenwärtige Situation zu gestalten und zu ändern.

Auf der zwischenmenschlichen, interpsychischen Ebene hat  sich zwischen den Parteien ein festes Konfliktmuster etabliert,  bei dem sich die Parteien gegenseitige Anschuldigungen  machen. Die Probleme werden von jeder Seite auf die jeweils  andere Seite verlagert. Aus dieser Sicht erscheint es für jede  Partei berechtigt, von der jeweils anderen Seite die Lösung  des Problems zu verlangen. Durch diese wechselseitige Verlagerung  der Verantwortlichkeit auf die jeweils andere Seite hat  sich ein Muster von Verantwortungslosigkeit etabliert. Die   andere Seite wird verantwortlich gemacht, die eigene Verantwortung  bei der Konfliktlösung wird nicht mehr gesehen. In  dieser Konfliktdynamik werden zudem auf der sozialen Ebene  weitere Personen einbezogen. Hierzu zählt die Herkunftsfamilie, der Freundeskreis, weitere professionelle Helfer. Sie werden Teil dieser Dynamik und agieren entsprechend eigenständig im Konflikt.

Professionelle Gestaltung der Mediationspraxis bei hochstrittigen Parteien

Eine Mediation kann bei diesem Klientel nur gelingen, wenn  der Mediator sich die Ausgangslage bei den Parteien verdeutlicht:  Es ist erst einmal nicht in deren Interesse, dass der Konflikt zu Ende gehen darf. Das hat erhebliche Auswirkungen  auf die Arbeit des Mediators. Er muss sich zum einen seiner  Haltung zur Konfliktinszenierung der Parteien sowie den dabei  auftretenden Mechanismen bewusst werden. Seine Haltung  den Parteien gegenüber hat instrumentellen Charakter. Die Haltung ist geprägt durch folgende Merkmale:

  1. Der Mediator gibt den Parteien einen Ort für ihre  Konfliktinszenierungen.
  2. Der Mediator zeigt Respekt für jede Partei; dies bedeutet  Respekt für die Person, nicht für das,   was sie sagt oder tut.
  3. Der Mediator übernimmt die Gesprächs- und Prozessführung,  ohne autoritär aufzutreten.

Zum anderen bedarf es im Sinne der Mediation eines reflektierten  Umgangs sowohl mit den Mediations-Methoden und -Techniken als auch mit eigenen Grenzen dieser Werkzeuge.

Auf der intrapsychischen Ebene ist der Beziehungsaufbau des  Mediators zu den Parteien in narzistischer oder traumatischer  Krise von zentraler Bedeutung. Der Beziehungsaufbau ist geprägt  von der Haltung des Mediators. So bemüht er sich, den  Parteien zunächst einen Ort für ihre Konfliktinszenierung zu  geben. Darüber hinaus zeigt er jeder Seite gegenüber Respekt  und Wertschätzung. Schließlich sollte er verdeutlichen, dass er  die Verantwortung für den Gesprächsverlauf in der Mediation  übernimmt, sodass die Parteien die Sicherheit bekommen,  im Gesprächsverlauf gehalten und  stabilisiert zu werden. Dabei ist der Beziehungsaufbau  zwischen den Beteiligten der  Mediation von gleicher Augenhöhe geprägt.  Zusätzlich sollte sich der Mediator stets auf die gegenwärtige  Realität des gerade stattfindenden Mediationsgespräches  beziehen, statt weiteren Inszenierungen Raum zu geben.  Schließlich sollte der Gesprächsprozess insgesamt entschleunigt  werden. Statt eilig erarbeiteter oder langfristig geltender  Regelungen sollten kurzfristige, begrenzte Schritte vereinbart  werden, um den Parteien wieder das Gefühl zu geben, dass sie gestalten können, Erfolge erleben.

Auf der interpsychischen Ebene versucht der Mediator das feste  Muster gegenseitiger Beschuldigungen zu lockern. Der Mediator  unterstützt jede Partei im Sinne einer Selbstbehauptung darin,  auf die eigene Seite zu schauen und zu erforschen, welche eigenen  Themen, Interessen, Optionen, Gerechtigkeitsvorstellungen,  Verhandlungsangebote sie hat. Der Mediator unterstützt  auf diese Weise jede Seite darin, die Aufmerksamkeit auf den  eigenen Anteil am Konfliktgeschehen zu verlagern, die eigene  Verantwortung für eine Veränderung zu übernehmen. Erst nach  Etablierung der Selbstbehauptung kann er jede Seite bitten, sich  auch mit den Anliegen der anderen Seite zu beschäftigen, um wechselseitig getragene Vereinbarungen erzielen zu können.

Die soziale Konfliktebene spielt insbesondere bei der Gestaltung  des Settings der Mediation eine große Rolle. Hier kann der  Mediator die Herkunftsfamilie, den Freundeskreis oder weitere  professionelle Helfer dadurch in den Mediationsprozess einbinden,  dass sie die Rolle von Unterstützern bzw. Ratgebern ihrer  Partei übernehmen und an bestimmten vom Mediator festgelegten  Zeitpunkten der Mediation zu Wort kommen. Auf diese  Weise kann die soziale Ebene an den Veränderungen durch den Mediationsprozess teilhaben ohne ihn zu dominieren.

Neben diesen Besonderheiten auf den jeweiligen Konfliktebenen  sollte der Mediator das Handwerkszeug des normalen Mediationsprozesses  beherrschen. Auch in dieser Hinsicht sollte  er seine Gesprächsautorität für die Konfliktparteien deutlich werden lassen.

Fazit

Eine Mediation mit hochstrittigen Parteien ist möglich. Dazu  sind Hintergrundwissen für den Mediator sowie Änderungen  im Setting und in der Methodik der Mediation notwendig.  Doch auch in diesen Fällen kann die Mediation an ihre Grenzen  stoßen, wenn nämlich der Erhalt des Konfliktes für die Parteien  weiterhin mehr „Sinn“ macht als die Bearbeitung ihres  Konfliktes. Hier hilft dem Mediator eine gewisse Demut, dass er eben nicht alle Konflikte lösen kann.

Über den Autor

Heiner Krabbe Heiner Krabbe studierte Psychologie und leitete anschließend viele Jahre die Beratungsstelle Trialog. Seit 1991 ist er als Mediator aktiv. 1996 gründete er zusammen mit Hannelore Diez das Ausbildungsinstitut Mediationswerkstatt Münster. Zudem leitet Herr Krabbe eine psychotherapeutische Praxis. Seine praktischen Arbeitsschwerpunkt umfassen Mediation, mediative Elemente im gerichtlichen Verfahren und den Einsatz von Mediation in unterschiedlichen Konfliktfeldern. In diesen Bereichen ist Heiner Krabbe im deutschsprachigen Raum als Trainer und Dozent tätig.